20160704

Fall 1 - LI


Wie um meine Worte zu akzentuieren, donnert es im Hintergrund. Ein bedrohliches Donnern, das für einen kurzen Moment jedwede Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das Kinder schreien und Alte zusammen zucken lässt, während die Beleuchtung des Geschäfts einige Sekunden lang flackert. Der Moment vergeht ebenso schnell wie er begann, und sie schaut mich an, räuspert sich kurz.


Verkäuferin - Wie meinen? Wir haben eine breite Auswahl an verschiedensten Kostümen jedweder Sparte. Für was für einen Anlass suchen sie denn was?


Zeichner - Ich habe später…heute, also eigentlich bald …ähh…eine Kostümparty zu der ich möchte?


Die Augenbraue geht nach oben. Sie wirkt nicht überzeugt. Wer hätte es erwartet. Wie sollte sie auch, angesichts einer solchen Aussage. Kann es natürlich nicht zeigen, würde mich aber am liebsten selber hier schelten. Ernsthaft Zeichner, wie kann man sowas beknacktes sagen?!


Verkäuferin - Ich kann…ihnen ein paar Exemplare raus legen. Haben sie bestimmte Vorlieben? Was ist ihre Größe?


Noch während sie redet, steht sie auf und umrundet den kleinen Tisch mitsamt Kasse, flitzt an mir vorbei, und fängt an in einigen der verschieden Aufhängungen rumzukramen, ehe sie ein paar hochgradig verschieden aussehende und wirkende Einzelelemente von Verkleidungen heraus holt und mir auf einem Schaukasten an der Seite beginnt aufzulegen.


Verkäuferin – Unabhängig davon haben wir ein Kostüm unter diesen, das ihnen sicherlich zusagen werden. Das hier wäre etwas wie es der klassische Bond, im Stil der 60er, also Roger Moore, getragen hätte, während wir auch eine entsprechende Uniform für den Gentleman von Welt hätten…


Sie redet und redet und redet und ich habe schon nach kurzem bemerkt, das die verschiedenen Details für mich nicht nur vollkommen unwichtig sondern auch absolut nutzlos sind. Eine Sammlung von verschiedenen Jacken, Jacketts, Uniformjacken, eine veritable Fundgrube an seltenen, absonderlichen und hochgradig bizarren Komplett-Kleidungsstücken.


Das Telefon klingelt. Sie hält inne. Schaut zu mir, noch ein paar seltsam geformte „Verkleidungen“ auf dem Arm, die andere Hälfte bereits teilweise wie zur Schau ausgelegt auf dem Schaukasten, während sie sich nicht so recht zu entscheiden weiß, ob sie jetzt zum Telefon hechten soll, oder erst die Sachen ablegen, die sie noch bei sich trägt.


Verkäuferin – Einen Augenblick bitte, ich bin sofort wieder da.


Im Hintergrund klingelt das Telefon weiterhin. Unablässig und beständig.


Zeichner – Ok.


Es muss leicht verschmitzt aussehen, wie ich jetzt grinse, während sie sich wegdreht und , die verschiedenen Kleidungsstücke immer noch auf dem Arm, Richtung Telefon am Tresen eilt und den Hörer abhebt. Die Vorstellung ihrer Person dauert keine paar Sekunden, als ob sie einen vorbereiteten Text runter rattert.


Es ist ein ausgezeichneter Moment, dass ich mich kurz umschaue, vielleicht auch in der Hoffnung, ein paar andere Kleidungsstücke zu finden, die man sinnvoll tragen kann. Die vielfachen Reihen von Kleidungsstücken, ob an Haken, oder Garderobe-Ständern versprechen eine reichhaltige Auswahl aller Arten von Kleidungsstücken. Meine Schritte führen mich entlang einer Reihe in den hinteren Bereich, mit den Umkleide-Kabinen.


Die Auswahl ist größer als man auf den ersten Blick denken würde. Gerade hier, im hinteren Bereich kommen nun Masken zum Vorschein, einfache Verkleidungsutensilien, falsche Bärte und verschiedene Hüte, Monster-Masken und Superhelden-Kostüme, Capes und Zorro-Attrappe-Schwerter.


Ein kurzer Blick über die Schulter. Sie ist immer noch am telefonieren. Jetzt geht sie gerade in ein Hinterzimmer. Anscheinend sind es entweder wichtigere Inhalte, oder bedeutende Dinge, die da diskutiert werden müssten.


Es wäre eigentlich, geradezu augenscheinlich ein günstiger Moment. Aber sollte ich wirklich jetzt….kurz entschlossenen Schritten rüber zu den Kleidungsstücken, welche sie auf dem Schaukasten ausgebreitet hat, das markierte Hemd mit der Rosenblüte am Revers, die Diner-Jacke, die Anzug-Hose eines britischen Gentleman. Mein Blick fällt auf einen Trenchcoat mit der Aufschrift WWI. Wie ein stummer Ruf.


Ein kurzer Griff in meine aktuellen Taschen. Ich kann mich vermutlich nicht einmal ausweisen, kann ich kaum etwas da lassen, um mich zu entschuldigen für das, was ich plane. Eigentlich schon verabscheuungswürdig grausam, unter diesem Umständen. Nach und nach sammle ich die genannten Kleidungsstücke auf, und eile schnellen Schrittes Richtung Umkleidekabine. 


Jetzt muss es ganz schnell gehen. In Windeseile habe ich Hosen, Hemd und grundlegende Kleidung gewechselt, soweit ich kann. Die Socken kann ich nicht austauschen, ebenso wenig die Unterkleidung, aber das ist auch gar nicht so schlimm. Wie oft achtet da schon einer drauf. Ein kurzer Blick in den Spiegel bestätigt meinen Verdacht. Adrett und Leger. Ein Mann von Welt.


Die Sachen, die ich vorher an hatte? Zusammengelegt auf dem Stuhl der Umkleidekabine. Ob es das besser macht? Ein Blick aus der Kabine. Sie ist immer noch am telefonieren im Hinterzimmer. Ich drücke den Vorhang beiseite, trete heraus, greife mir den britischen Weltkriegs-Trenchcoat von der Stange. Er gleitet mühelos über.


Für die einen ist es ein Kostüm. Für die anderen, eine Lebensweise.


Mit wenigen sanften, aber bestimmten Schritten, stehe ich an der Tür, die Klinke zur Außenwelt, zum stürmischen Regen und Hinterhof, der hinauf auf die Straßen führt, schon vor mir. Und doch kann ich nicht einfach so gehen. Kann das Gefühl nicht abschütteln, dass es falsch wäre.


Ich marschiere zum Tresen, ein Blick über denselben zeigt mir jede Menge erdenklicher und nutzloser Büro-Utensilien für einen langweiligen Tag im Büro. Ich greife mir Stift und Zettel und notiere die Anschrift meines Büros mitsamt dem Namen. Einer Entschuldigung. Einer kurzen Danksagung. Platziere den Zettel auf der Kasse, klar in ihrem Sichtfeld, wenn sie zurück kommt. Und eile zur Tür.


Mit einem harten, beherzten Griff, drücke ich die Klinke hinunter. Schlage den Kragen des Trenchcoats hoch. Und trete in den Regen hinaus.

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